Wenn
vier Poeten zusammen in einer WG wohnen, kann es schon mal drunter
und drüber gehen. Denn sie sind nicht alle so entspannt und
ausgelastet, wie es die Pressefotos stets vermuten lassen. In ihrer
Freizeit gehen sie nämlich ganz anderen Berufen nach als in ihrer
Hauptbeschäftigung auf der Bühne – wenn sie nämlich gerade
einmal kein neues nobelpreisfürliteraturverdächtiges Werk schreiben
oder irgendwo in der Bundesrepublik „ins Mic spitten“, dann sind
unsere Wortakrobaten ein Vulkanforscher, ein Astronaut, ein Wikipediaeinträgefälscher und
ein Waldläufer. Wer wer ist, bleibt aus Datenschutzgründen geheim.
Und
wenn eben diese vier Männer, den Alltagstrott hinter sich gelassen,
anfangen ihre Taschen und danach das Auto zu bepacken, weil sie
wieder einmal einen Notruf aus einem anderen Bundesland erhalten
haben, mit der Bitte, doch bitte die Abendshow zu retten, dann
bleiben keine Trockenfrüchte, keine Thermoskannen und keine
Queen-CDs vor ihnen sicher. Denn die Fahrt ist lang und der
unstillbare Durst danach, eine (Brems)Spur am Einsatzort zu
hinterlassen, ist groß.
Dieses
Mal trifft es die Weststadt Story in Essen – eine riesige
und legendäre Slam-Veranstaltung, die in- und außerhalb von
Nordrhein-Westfalen großes Ansehen genießt.
Kurz
vor der Abreise versammelt man sich traditionsgerecht im Flur und
bespricht wichtige Eckdaten der Reise.
„Er
ist nicht zu finden, der Autoschlüssel in unserer Schüssel für
Schlüssel!“ Thorstens Fäuste stemmen sich gegen seine Hüfte.
„Verzeihe
mir, Thorsten!“ entschuldigt sich Andreas. „Ich habe ihn mir
gestern zum Üben ausgeliehen, als endlich das Buch ankam, welches
ich bestellt hatte: 99 Wege mit einem Schlüssel schnell zu töten.
Ich hole ihn mal eben aus der Übungspuppe heraus.“
„Tu
dies. Denn leider können wir uns das Fahren nicht sparen. Und wo ist
überhaupt Artur? Macht er wieder eine Haarkur?“
„Bin
am Start“, Artur betritt den Flur und stopft sich noch ein paar
Texte in die Hosentasche, die er in den nächsten drei Stunden immer
wieder herausholen wird, um sich zu vergewissern, dass er sie auch
wirklich dabei hat.
„Jo,
Domi, Bro, darf ich meinen Eistee in deine Tasche stecken? Ich nehm'
keine mit, Digga. Dominik?“
Thorsten
und Artur sehen verwundert zu Dominik herüber, der nicht antwortet.
Einige Sekunden lang, bevor Thorsten erstarrt und Artur sich dreimal
bekreuzigt. Den beiden wird nämlich klar, dass es gar nicht Dominik
ist, sondern die Übungspuppe und dass Andreas die beiden schon
wieder verwechelt haben muss.
Im
selben Augenblick hört man verzweifeltes Bärengebrüll von Andreas
aus dem Trainigsraum. Er kommt in den Flur, den (Gott sei Dank) noch
atmenden Dominik auf den Armen tragend und stellt ihn ab.
„Andy,
ist es eigentlich dein Ernst? Wie oft denn noch?“, Dominik ist
wirklich sauer, aber kann sein Lächeln nicht ganz unterdrücken,
weil... wer kann Andreas schon so richtig böse sein?
„Dominik,
es tut mir so leid, dass es wieder zu dieser Verwechslung kam! Für
das nächste Mal merke ich mir – wenn es stöhnt, dann ist es nicht
meine Übungspuppe“, entschuldigt sich Andreas, „Ich bin
heilfroh, dass du meine gestrige Trainingseinheit und die Nacht
überlebt hast! Aber das Buch ist wohl für'n Arsch.“
„Männer,
wir müssten wirklich langsam los!“, Thorsten schaut die anderen
über den Rand seiner Brille an und das ist kein gutes Zeichen.
Die
Choreographie beim Einsteigen und Sitzen läuft nach so vielen
Fahrten absolut reibungslos ab: Thorsten fährt, Dominik schmückt
den Beifahrersitz, Andreas sitzt hinter Thorsten, Artur sitzt hinter
Dominik und zwischen Andreas und Artur in der Mitte sitzt noch
Andreas' rechter Arm und pulsiert.
Die
drei Stunden, viele kleine und große Städte, einige Wälder und
unzählige Eindrücke ziehen staulos an unseren Poeten vorbei. In
dieser Zeit haben sie meist alle relevanten Themen dieses Lebens
besprochen und alle Weltprobleme in der Theorie gelöst. Es wurde
sogar der eine oder andere Spaß ausgetauscht.
Nachdem
die Boyband in Essen angekommen ist, ahmt sie coole US-Kids nach und
hängt ein bisschen in der Mall herum. Es wird gespeist und langsam
versinken unsere Helden in ihren eigenen Gedanken, die bevorstehende
Show im Fokus.
Zeitsprung.
Die Weststadthalle füllt sich wider Erwarten (parallel fand die
NRW-Slam-Meisterschaft statt) und die mindestens 500-10.000 Besucher
nehmen ihre Plätze ein, die Luft knistert. Die Slampoeten sitzen auf
bequemen Sofas und trinken VIP-Wasser, während das Moderationsduo
Gabriel und Thomas mit dem berühmten Weststadt-Story-Pferderennen
die Besucher in Extase versetzt.
Artur
darf den Abend eröffnen und trägt Mama vor. Dominik kommt
als zweiter Poet auf die Bühne und reißt die Halle mit Dinge,
die ich nicht verstehe nach allen Regeln der
Gebäudesprengungskunst ab. Andreas liest Kein Text und
scheidet zusammen mit Artur aus, um sich mit ihm
betrinken zu dürfen und neue Bekanntschaften zu knüpfen. Thorsten performt Konzentrier dich! und
kommt zusammen mit Dominik ins Finale.
Im
weiteren Verlauf des Abends bekommt das Publikum Hessens Klassiker um
die Ohren gehauen mit Thorstens Fortissimo
und Dominks 90
Minuten oder wie lange Nagellack zum trocknen braucht und
Anapophasistos,
welche ihm einen würdigen zweiten Platz des Abends und eine
Lyriksammlung von Mesut Özil bescheren.
Nach
diesem erfolgreichen Abend in Essen haben unsere Helden mal wieder
gezeigt, aus welchem Holz ein Hesse geschnitzt ist. Einige Stunden
später sitzen die Vier wieder im Auto auf dem Heimweg zu ihrer
Poeten-WG und schnick-schnack-schnucken, wer morgen Frühstück
macht.