„How
do I reach these kids?.. How do I reach these kids?..“ wiederholt
immer wieder Artur Nevsky, während er eine Zigarette nach der
anderen raucht und im Parkhaus seiner alten Schule auf und ab geht.
Der erste Julitag ist heiß und der wolkenlose blaue Himmel liegt auf
Oberursel wie eine Kuppel.
Arturs
ehemalige Deutschlehrerin Frau Dr. Godenschwege hatte den jungen
Poeten in ihre 11. Klasse eingeladen, um von seinen Slamerfahrungen
und Erinnerungen an die Feldbergschule zu berichten.
Mehr
als 6 Jahre ist es her, dass Artur täglich mindestens 20 Minuten zu
spät den Klassenraum betrat, ihn mit Kräuterduft füllte und in der
letzten Reihe Platz nahm, um seine ersten Entwürfe für sein
demnächst erscheinendes Theaterstück „Oxana“ in
Wirtschaftslehreschulbücher zu kritzeln. Mehr als 6 Jahre ist es
her, dass Artur sich durch die Oberstufe quälen musste, um einen
Monat vor den Abiturprüfungen nicht zugelassen zu werden und von der
Schule zu fliegen.
Und
jetzt kehrt er zurück – als gemachter Mann, um der nächsten
Generation zu zeigen, dass man alles schaffen kann. Um als Sieger in
einem Raum zu stehen, den er einst als Verlierer verlassen musste.
Ein
letztes Mal sieht sich Artur im Parkhaus um. Sein Auto steht in der
untersten Ebene und die Sonne scheint etwas herein, aber im Schatten
ist es angenehm kühl. Genau an dieser Stelle wurde er mit ein paar
Kumpels vor 7 Jahren von einem Lehrer beim Kiffen erwischt. Jetzt
steht an dieser Stelle sein Mercedes.
Gleich
macht sich Nevsky auf den Weg in die Klasse und erzählt seine
Geschichte. Sein letzter Blick schweift über die saftig grüne Wiese
und den versifften Teich bevor er die Zigarette wegschnickt und in
Zeitlupe das Parkhaus verlässt, während hinter ihm Autos
explodieren.
Artur
steht im Flur und verspürt eine seltsame Angst. Er atmet durch,
klopft sehr laut, um sich zu beruhigen, öffnet die Tür und betritt
seinen alten Klassenraum.
Die
Angst macht ganz schnell Platz für das unbeschreibliche Gefühl der
Erfüllung eines Traumes, den Hunger auf das Publikum und die so
geliebte Selbstdarstellung. Fast ein Jahrzehnt hat er auf diesen
Augenblick gewartet.
Knapp
eine Stunde verbringt Artur in der neugierigen 11BG. Er umreißt
seinen Lebenslauf, seine Geschichte. Er berichtet darüber, wie er
mit 12 Jahren aus der Ukraine nach Deutschland zog, wie er die
Sprache erlernte, erzählt von seiner Zeit an der Feldbergschule und
wie er über Rap zu PoetrySlam kam. Artur zeigt Fotos von
verschiedenen Slams, den Backstages, sein erstes Musikvideo, ein paar
Tracks und slammt auch schließlich live.
Arturs
abschließende Worte gelten seinem größten Widersacher: der
Vernunft. Er appelliert an die Klasse, nicht zu schwänzen, im
Unterricht aufzupassen und die Schule aufrecht durchzustehen. Denn
auch wenn die meistern Lehrer *böses Schimpfwort einfügen*
sind, auch wenn die Schule die biologische Uhr des Menschen
ignoriert, auch wenn man meint, das alles nie wieder zu brauchen...
braucht man es doch irgendwann. Und es später auf Umwegen doch zu
lernen kostet viel mehr Kraft und Zeit.
Und
während Artur das sagt, merkt er, wie die Jugendlichen vor ihm sich
in gedankenlose Zombies verwandeln und ihnen die warme Julibrise
durch die Köpfe weht, während sie auf sich selbst sabbern. Nevsky
hatte vergessen, dass jeder Schüler auf Durchzug schaltet, sobald
„Schule“ und „wichtig“ in einem Satz auftauchen. Sogar er
selbst.
Genau
der richtige Moment, um die Bühne zu verlassen.
Artur
zündet eine Rauchgranate, wirft einen Stuhl gegen die
Fensterscheibe, verfehlt die Fensterscheibe, tötet stattdessen
versehentlich eine Schülerin, wirft sie gegen die Fensterscheibe,
trifft dieses Mal die Fensterscheibe und entkommt mit einem Salto
durch die kaputte Fensterscheibe.
Die
Rückfahrt in die schöne Wetterau dauert zwar keine zwanzig Minuten,
dennoch kommt sie Artur wie eine halbe Weltreise vor. Er ist
erschöpft und sehr glücklich.
Fast
ein Jahrzehnt hat er auf diesen Augenblick gewartet.
Schönes
Wochenende.
PS:
Hier einige Vorschläge für Wörter, die man in das Feld *böses
Schimpfwort einfügen* einsetzen kann (um den Artikel sauber zu
halten sind die folgenden Schimpfwörter ins Niederländische
übersetzt worden):
– wanker
– kutjes
– slachtoffer
– klootzakken
– slechte mensen